This is the German version of the article “Exclusive: 10 questions answered about Histamine Intolerance” for our visitors from the German language area! Dieses Interview dient zur Information bezüglich der Diagnose einer Histaminintoleranz.
Prof. Dr. med Martin Raithel, Oberarzt am Universitätsklinikum Erlangen, und seine Kollegen in Deutschland und Österreich beschäftigen sich bereits seit langem mit dem Thema Histaminintoleranz. Nun hat Prof. Raithel uns ein Interview gegeben. Dieses Interview soll jenen helfen, die auf der Suche nach der Symptomursache sind und ihnen helfen zuverlässigere Resultate zu bekommen. Es ist wichtig nicht in Abzockfallen zu geraten, wo einem möglicherweise auch noch sehr teure „Langzeittherapien“ mit hohen Kosten eine „Heilung“ versprechen. Bitte arbeite nur mit qualifizierten, zugelassenen Ärzten zusammen.
1: Was ist Ihrer Meinung nach die Definition einer Histaminintoleranz?
1) Definition Histaminintoleranz-Syndrom (HIS)
Die Histaminintoleranz ist definiert als eine akute oder chronische, nicht-immunologisch vermittelte Reaktion auf die Zufuhr normaler (allgemein verträglicher), subtoxischer Mengen von Histamin. Derartige Reaktionen, die klinisch allergieähnlich verlaufen, aber nicht durch spezifische Immunmechanismen (z.B. antigenspezifische IgE-Antikörper oder -T-Zellen) ausgelöst werden, werden heute unter dem Überbegriff der Intoleranzreaktionen erfasst.
Die Histaminintoleranz kann dabei variabel mono-, oligo- oder polysymptomatisch mit verschiedenen Organmanifestationen auftreten und betrifft hauptsächlich Personen nach dem Adoleszenzalter oder im Erwachsenenalter mit Bevorzugung des weiblichen Geschlechts.
2: Welche Formen der HIT haben Sie bei Ihnen in der Uniklinik festgestellt? z.B niedrige DAO wegen einer anderen Erkrankung, die den Darm belastet? Patienten mit Histamin Intoleranz wegen einer defektiven/reduzierten HNMT? Patienten mit Histamin Intoleranz wegen einer defektiven/reduzierten DAO Aktivität?
[stextbox id=”info”]
2) Übersicht zu den vielfältigen Mechanismen des Histamin-Intoleranzsyndroms (HIS) und Vorschlag zur klinischen Klassifikation
HIS-Gruppe 1 (HIS-G1) durch gesteigerte Verfügbarkeit von Histamin („Überschuss von Histamin“ im Körper)
HIS-G1A: Endogene und/oder genetisch verstärkte Histaminsynthese und –freisetzung
z.B. Mastzell-Aktivierungssyndrome (Mastozytose), Leukämie etc
z.B. Atopie*, Allergien*, Infektionen, NSAID-Intoleranz
z.B. Bakterien
HIS-G1B: Exogene verstärkte Histidin- oder Histaminzufuhr ¹
z.B. Lebensmittel, Wein, Essig etc
z.B. Blutprodukte, Tabakrauch etc
HIS-Gruppe 2 (HIS-G2) durch Veränderungen an den Histaminrezeptoren
HIS-G2A: Genetisch bedingte Empfindlichkeitsänderung an Histaminrezeptoren
z.B. genetische Polymorphismen, (epigenetische Veränderungen? )
HIS-G2B: Erworbene Empfindlichkeitsänderung an Histaminrezeptoren
z.B. Auto-Antikörper (?), Infektionen, Neurotransmitter, Zytokine etc.
HIS-Gruppe 3 (HIS-G3) durch gestörten enzymatischen Histaminabbau
HIS-G3A: Endogene und/oder genetisch bedingte Enzymstörung auf Ebene der
Diaminoxidase (HIS-G3A-DAO)
und/oder
Histamin N-Methyltransferase (HIS-G3A-HNMT)
z.B. genetische Polymorphismen, (epigenetische Veränderungen?)
z.B. bakterielle Aminproduktion (konstitutionell, endogene Darmflora)
HIS-G3B: Erworbene Enzymstörung auf Ebene der
Diaminoxidase (HIS-G3B-DAO)
und/oder der
Histamin N-Methyltransferase (HIS-G3B-HNMT)
z.B. Alkohol, Medikamente etc.
z.B. Ingestion biogener Amine (Putrescin)
z.B. bakterielle Aminproduktion (passager, bakterielle Dünndarmüberwucherung)
HIS-Gruppe 4 (HIS-G4) durch gestörte zelluläre Aufnahme (?)
[/stextbox]
Legende zur Abbildung
Die Übersicht zu den verschiedenartigen möglichen Einzelmechanismen der Histaminintoleranz zeigt, wann und bei welchen Patientengruppen mit Histamin induzierten Symptomen im Sinne einer Intoleranz (Zufuhr < 200mg Histamin) zu rechnen ist und welche Veränderungen im Einzelfall klinisch oder wissenschaftlich zu erwägen sind.
* Die Allergen-spezifische induzierte Histaminfreisetzung gehört definitionsgemäß nicht zur Histaminintoleranz;
1 eine Zufuhr von Histaminmengen >200mg wird als toxisch eingestuft und gehört definitionsgemäß zum Krankheitsbild der Histaminintoxikation (Scromboidintoxikation)
3: Wie verfahren Sie um eine HIT zu diagnostizieren? Braucht man da mehrere Indizien?
3) Das Krankheitsbild der Histaminintoleranz wird bis heute klinisch diagnostiziert und sollte anhand von standardisierten Provokationstests, ggf. verbessert durch Einbindung von triggernden Co-Faktoren (z.B. körperliche Belastung), gesichert werden oder definitiv ausgeschlossen werden, da sonst eine zu große Verunsicherung des Patienten entsteht. Da anhand der bisherigen Datenlage eine verlässliche Laborbestimmung oder Laborkonstellation im Blut oder Serum zur definitiven Diagnose nicht verfügbar ist, können verschiedene Test herangezogen werden (s. Abb.) , um den Verdacht auf ein HIS zu erhärten.
Letztlich wird die Diagnose einer Histaminintoleranz erst nach reproduzierbarer klinischer Symptomatik bei der Provokationstestung mit Histamin gesichert. Im Einzelfall erfolgt die orale Histaminprovokation erst nach Ausschluß anderer Erkrankungen und relevanter Differentialdiagnosen sowie unter strenger Abwägung von Kontraindikationen (z.B. manifeste Atemwegsobstruktion, KHK, Herzrhythmusstörungen, Infektionen oder andere akute Krankheitsphasen mit Gefahr der kardiozirkulatorischen oder respiratorischen Insuffizienz), nach Ableitung klarer therapeutischer Konsequenz und ggf. unter intensivmedizinischem Monitoring.
Die Histaminintoleranz wird nach standardisiertem Protokoll am nüchternen Patienten durch eine placebo-kontrollierte orale Histaminprovokation mit 50–150mg Histamin (0.25–1.5mg/kg Körpergewicht) durchgeführt. Histamindichlorid (1.6mg entspricht 1mg Histamin) wird dabei mittels Kochsalzlösung in einem Volumen von 100ml im Vergleich zu Placebo (100ml NaCl) an verschiedenen Testtagen verabreicht.
[stextbox id=”info”]
Abb. zur Diagnostik der Histaminintoleranz
– Anamnese, Körperliche Untersuchung
– Mediatordiagnostik Blut (Einmalbestimmung):
Plasmahistamin, ECP & Tryptase im Serum, ggf. Zytokine
– Funktionelle Mediatordiagnostik mit mindestens 2 Tagen Vollkost & 2-14 Tagen hypoallergener, histaminarmer Kartoffel-Reisdiät:
Kombinationsbestimmung unter Vollkost und nach Kartoffel-Reisdiät jeweils zum Vergleich (Therapieeffekt)
Plasmahistamin, Plasma-DAO
ECP & Tryptase im Serum, ggf. Zytokine
Histamin und Methylhistamin im 12h-Urin
– Endoskopie mit Biopsieentnahme (Stickstoff):
Histologische Beurteilung (Mastzelldichte). ggf. DAO-Immunohistochemie
Bestimmung Gewebe-Histamingehalt, ggf. weitere Mediatoren
Bestimmung der isolierten Enzymaktivitäten DAO, HNMT
Bestimmung der biologisch verfügbaren Gesamthistamin-Abbaukapazität
– Orale Provokationstestung mit 50-150mg Histamin bzw. Placebo:
Notfallbereitschaft (ggf. intensivmedizinische Überwachung)
Beschwerdescore, Kreislaufmonitoring, Peak-Flow Messung etc
Mediatordiagnostik Plasmahistamin, ggf. DAO, andere Parameter
[/stextbox]
4: Wie kann der DAO Bluttest als Indiz helfen? Ist er nur eine Momentaufnahme? Macht es dann Sinn ihn zu machen?
4) Der DAO-Bluttest stellt leider keine zufriedenstellende Lösung dar, da die Konzentration im Blut im Vergleich zum Darm viel zu niedrig ist (1: >500), um eine aussagekräftige Diagnose zu erlauben. Insofern müssen Patienten mit erniedrigter DAO-Aktivität im Blut trotzdem sorgfältig diagnostiziert werden (s.a. Abb. Diagnostik zur Histaminintoleranz sowie 5.).
5: Was kann der Hausarzt schon im Vorfeld machen?
5) Der Hausarzt kann im Vorfeld einer endoskopischen Abklärung bereits die Anamnese erheben, Kohlenhydratunverträglichkeiten ausschließen, ein Blutbild durchführen und Entzündungen suchen. Zudem kann er bereits eine Testung des Urins auf Histamin und Methylhistamin (Referenzlabor in Deutschland Labor Buchwald/Schultis, 0961/3090, Weiden/Opf.) einleiten und den Patienten beim Allergologen oder Dermatologen vorstellen, damit Hauttests und spezifische IgE-Antikörpertests auf Nahrungsmittel, Gewürze, Schimmelpilze, Umweltantigene (Hausstaub, Pollen etc) durchgeführt werden.
6: Wie wichtig ist es für den Patienten eine Diagnose durch den Arzt erstellt zu haben bevor er eine histaminarme Diät beginnt?
7: Was können die Konsequenzen für den Patienten sein wenn ohne Diagnose eine histaminarme Diät einhält? Können Sie ein Beispiel eines Patienten nennen?
6 und 7) Vor der Diagnose des HIS sollte immer eine strenge Differentialdiagnostik gemacht worden sein, damit andere Erkrankungen (Entzündungen, Malabsorption, Tumore, Mastozytose etc) sicher ausgeschlossen sind. Dies erfordert in der Regel eine Untersuchung beim Allergologen, Dermatologen, Internisten, Gastroenterologen und evtl. weiteren Fachdisziplinen (z.B. Kardiologie) je nach vorliegender Hauptsymptomatik. In jedem Fall ist eine vorschnelle Diagnose der Histaminintoleranz zu vermeiden. Denn die Konsequenzen können sein, dass eine gut behandelbare andere Erkrankung nicht erkannt wird, die Diagnose verzögert wird und sich dann irreversible Organschädigungen entwickeln.
Als Beispiel sei hier die übereilte Diagnose einer Histaminintoleranz bei einer jungen Patientin mit verschiedenen Nahrungsmittelunverträglichkeiten genannt. Trotz histaminarmer Diät und Antihistaminika wurde die Patientin nicht beschwerdefrei, hatte weiterhin Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Eine erneute Krankenhausaufnahme führte dann nach ausführlicher Ileo-Koloskopie von mir dazu, dass tatsächlich am Übergang Dünn- zum Dickdarm eine kurzstreckige Entzündung lag, die dem M. Crohn entsprach. Dies hatte natürlich ganz andere therapeutische Folgen als bei einer Histaminintoleranz und die Patientin wurde dann mit einer medikamentösen Akut-Phasetherapie behandelt.
8: Bei wie vielen Patienten in der Uniklinik die eine andere Unverträglichkeit oder Nahrungsmittelallergie haben, haben Sie auch eine HIT festgestellt? Viele oder nur wenige?
8 ) Zur Frage der Häufigkeit bei der Histaminintoleranz kann man sich nicht auf sein eigenes tägliche Patientenaufkommen beziehen, da wir viele Patienten zugewiesen bekommen haben, was die tatsächliche Häufigkeit überschätzt. Am besten ist dies aus einer Studie abzulesen, wo prospektiv Patienten eingeschlossen worden sind und mit harten Diagnostikkriterien überprüft wurden. So registrierten wir in Erlangen in der Studie von Giera et al nach doppelt-blinder Histaminprovokation bei Personen mit gastrointestinalen Beschwerden eine Histaminintoleranz in ca. 5.9%, während bei einem anderen Patientenkollektiv (Neurodermitis) Maintz et al eine Histaminintoleranz in 19-23% feststellten.
Dies zeigt, dass die aktuelle Häufigkeit auch vom jeweils untersuchten Patientenkollektiv oder den zugrunde liegenden Grunderkrankungen bestimmt wird. Weitere Beispiele für provozierte Histaminreaktionen sind bei Jarisch et al. für Bronchokonstriktion bei Asthmatikern, die Induktion von Kopfschmerzen bei Migränepatienten oder der atopischen Dermatitis in einer Häufigkeit von 3–10% beschrieben. Insofern gehen wir von einer mittleren Häufigkeit in der Bevölkerung von 5–8% für Histamin-induzierte Intoleranzsymptome aus, wobei nicht alle Betroffenen ärztlichen Rat aufsuchen.
9: Es gibt Leute die einen IgG Test oder einen Haartest oder einen Vega Test machen um zu erfahren ob sie eine Nahrungsmittelunverträglichkeit haben. Was sagen Sie dazu?
9) Aus internistisch-gastroenterologischer Sicht finden sich häufig schon bei unspezifischen Magen-Darmerkrankungen (z.B. postinfektiös, Kohlenhydratmalabsorption, Antibiotika-assoziierte Diarrhoe, Pankreasinsuffizienz. Lamblienbesiedelung etc ) Erhöhungen der IgG-Antikörperspiegel gegen Lebensmittel, die mit anderen, oft sehr unspezifischen pathophysiologischen Zeichen einer gestörten Darmpermeabilität, einer Verschiebungen der intestinalen Bakterienspezies und unspezifischen Entzündungszeichen (z.B. Laktoferrin) einhergeht.
Wie in der Literatur beschrieben, zeigte sich auch am Erlanger Interdisziplinären Datenregister für chronisch entzündliche und allergische Erkrankungen kein Hinweis für eine IgG-induzierte klinische gastrointestinale Reaktion bei oralen Provokationstestungen innerhalb von 48h (nicht-veröffentlichte Beobachtung). Allerdings konnte bei einzelnen IgG-positiven Personen eine lokale intestinale IgE Produktion in der endoskopisch gesteuerten Darmlavage festgestellt werden, so dass der Eindruck entsteht, dass erhöhte IgG-Antikörper konsekutiv als Folge einer unspezifischen Barrierestörung des Gastrointestinaltraktes entstehen. Da die Barrierestörung im allgemeinen zu bestimmter Symptomen führt, empfiehlt es sich gezielt, bestimmte Differentialdiagnosen (wie oben aufgeführt) abzuarbeiten und schließlich eine endoskopische und histologische Gewebeüberprüfung vorzunehmen.
10: Gibt es noch etwas zu dem Thema Histamin Intoleranz, was Sie erwähnen möchten?
10) Bei jeder Form der Nahrungsmittelunverträglichkeit, egal ob einfach (z.B. Milchzuckerunverträglichkeit) oder komplex (z.B. gastrointestinale Allergie oder Histaminunverträglichkeit bei Mastozytose) ist eine ärztliche Diagnostik sinnvoll, die den Krankheitsprozess positiv diagnostiziert und die andere mögliche Erkrankungen ausschließt, damit der Patient ohne weitere Sorgen die spezifischen Therapiemaßnahmen durchführen kann, damit keine psychischen Folgestörungen auftreten und eine gezielte Schulung des Patienten über das Krankheitsbild erfolgen kann. In diesen Fällen haben wir jeweils die besten Langzeitergebnisse erzielt. Deshalb werden in der neuen Auflage des Buches Histamin-Intoleranz, Histamin und Seekrankheit (Thieme Verlag; Herausgeber: Jarisch, Raithel, Wantke) alle neuen und modernen Aspekte der Histaminunverträglichkeit bei vielen verschiedenen Krankheitsbildern exakt dargestellt (z.B. Reizdarm, Herzrhythmusstörungen, Migräne u.v.m.).